Die sechste Veranstaltung aus der Reihe Interdisziplinärer Salon
für Europa fand am 14. Juni 2007 in der Humboldt-Viadrina School
of Governance statt.
Unser Thema des Abends:
Dr. Bernhard von Mutius
Sozialwissenschaftler, Philosoph, Frankfurt am Main
Solange Olszewska
Vizepräsidentin Solaris Bus & Coach Polen
Dr. Burkhard Gnärig
Berlin Civil Society Center, Humboldt-Viadrina School of Governance
MinR Hans-Peter Hiepe
Bundesministerium für Bildung und Forschung, Unternehmen Region
Dr. Hagen Schulz-Forberg
FORUM46 - Interdisziplinäres Forum für Europa e.V.
Welches Potential verbirgt sich im „Dazwischen“? Wie wirken sich Zwischenräume auf die Entwicklung von Innovationen aus? Brauchen Räume Zwischenräume? Das Konzept einer subtil vernetzten Welt in „Zwischenräumen“ als Bestandteil der Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft?
Von Robert Liebisch
„Auf den Schultern von Riesen“ stand Dr. Bernhard von Mutius als er gemeinsam mit Solange Olszewska, MinR Hans-Peter Hiepe, Dr. Burkhard Gnärig und Dr. Hagen Schulz-Forberg über Zwischenräume als Ort der Innovationsgenese diskutierte. Die Diskussion fand im Rahmen der sechsten Veranstaltung aus der Reihe Interdisziplinärer Salon für Europa (I.S.E.) am 14. Juni 2007 in der Humboldt-Viadrina School of Governance statt.
Von den Schultern der Riesen ließen sich Dinge am besten hinterfragen und neue Perspektiven erlangen, wobei er sich besonders an dem großen Vordenker Heinz von Foerster orientiere. Wissenschaftliche Forschung könne nie geschichtslos betrieben werden und immer sei das frei verfügbare Wissen Basis für jeden neuen Gedanken. Auf Schultern stehend böte sich nicht nur der notwendige Überblick über die bisherigen Erkenntnisse. Es würden auch Zusammenhänge und vor allem Zwischenräume deutlich, die sonst verborgen geblieben wären. Für den Interdisziplinären Salon für Europa gälte das Gleiche, weswegen Dr. von Mutius begeistert sei, diesem „Club“ anzugehören. So verwies er auf die seiner Ansicht nach dringenden Notwendigkeiten, „in bestimmten Beziehungen zu denken“ und „an den Grenzen zu denken“. Feste Standpunkte und Meinungslager gelte es hinter sich zu lassen. Es wären gerade die Zwischenräume, die neue Lösungen und Möglichkeiten bereithielten. Europa befände sich im Umbruch, der Klimawandel schritte voran, die Globalisierung, die Bildung und der Konflikt der Kulturen hätten längst an Fahrt gewonnen. In dieser Zeit größten Wandels ergäben sich ständig neue Zwischenräume und somit neue Lösungsansätze. Das Auffinden dieser Zwischenräume gelänge nur interdisziplinär: Grenzgängerkompetenz und Innovationen seien notwendig, um den Wandel in allen Lebensbereichen zu meistern. Nur so ließe sich verstehen, dass es gerade Grenzen seien, an denen neue Innovationsmärkte entstünden.
Dr. Gnärig griff Dr. von Mutius’ Gedanken auf und verwies auf historische Bilder, um die Chance des Zwischenraumes zu verdeutlichen: Der Wandergeselle des Mittelalters, der den sicheren Ort der Heimat verließ, um eine Lehrstelle zu finden. Die Segler und Entdecker, die sich in Gefahren begaben, um das Ungewisse zu entdecken. Schließlich die technologische Revolution, die die ganze Welt verändert hat. Dr. Gnärig schloss daraus, dass wir alle in Zwischenräume gezogen werden und nur dann ein Potenzial entdecken können, wenn wir ihnen aufgeschlossen gegenüberstehen.
Sehr interessante Gedankenspiele und Fragen warf Dr. Schulz-Forberg auf, als er zum Beispiel hinterfragte, warum Grenzen überhaupt Grenzen seien. Geschieht dies mittels Macht oder Exklusion? Übereinstimmend mit Dr. Gnärig kam er zu dem Schluss, dass es nicht darum ginge, ob Zwischenräume auf uns zu kämen. Das wäre unstrittig. Vielmehr müsste es darum gehen, sie anzupacken und ihnen die Stirn zu bieten.
Herr Hiepe schlug einen - in dieser Runde neuen - gedanklichen Weg ein und betonte die Bedeutung der Regionen für das Entstehen einer Innovationsgenese. Denn Innovationen könne man nicht verordnen, sehr wohl böten jedoch die Beobachtungen sozialer und gesellschaftlicher Zusammenhänge das Potenzial, Besonderheiten und Traditionen als Grundlage für Innovationen zu nutzen.
Als sehr erfolgreiche Unternehmerin stellte Frau Olszewska die Frage, ob Grenzgängerkompetenz lernbar wäre. Die Frage nach der Erlernbarkeit blieb vorerst unbeantwortet, jedoch ergaben sich aus ihren Ausführungen höchst interessante Ansätze zur Notwendigkeit, als Grenzgänger unterwegs zu sein. Und das im doppelten Sinn: Ihr polnisches Unternehmen agiert sehr überzeugend auf dem deutschen Markt des Transportwesens. Aber nicht nur Produkte und Finanzen überschreiten die Landesgrenze. Es lohne zudem auch, kulturelle Aspekte jenseits und diesseits der Grenze aufzugreifen und mit den gewonnenen Erfahrungen als Unternehmerin zu verknüpfen, um daraus etwas Innovatives entstehen zu lassen.
Im Laufe des Abends fokussierten die Diskutanten mehr und mehr die wichtige Frage, inwieweit Grenzgänge und „sich dazwischen befinden“ eine Gefahr darstelle oder gar Ablehnung hervorriefe. Dr. von Mutius vertrat in diesem Zusammenhang die Ansicht, die Deutschen neigten generell eher zur Grenzziehung und zur Abgrenzung und verwies sowohl auf eine deutsche Kunstfigur, die kategorisch fordert: „Die Ente bleibt draußen“, als auch auf die skandinavische Eigenart, Gemeinsamkeiten hervorzustellen und eigene Schatten zu überspringen und somit Zwischenräume zu nutzen. Dass daraus ein Nachteil entstehe, wollte Dr. Schulz-Forberg nicht hinnehmen und verwies darauf, dass die Deutschen trotz der beschriebenen Eigenschaften in der Nutzung von Zwischenräumen äußerst innovativ und produktiv seien. Diese Argumentation griff die Unternehmerin Solange Olszewska auf und bedauerte, dass die Deutschen sich in der Regel selbst in ein schlechtes Licht rückten und eher negativ betrachteten. Bemerkenswert sei jedoch, dass eine solche Veranstaltung, wie die des FORUM46 am heutigen Abend, gegenwärtig in Polen nicht denkbar wäre.
Am Ende des gemeinsamen Abends fanden die Teilnehmer der Runde in wichtigen Punkten Übereinstimmung: Zwischenräume können und müssen bei ihrer Entstehung als prekär wahrgenommen werden. Es erforderte lediglich Mut und Offenheit, um daraus Chancen entstehen zu lassen und Innovationen herbeizuführen. Solange sich Zustände verändern, Grenzen verschieben und neue Grenzen entstehen, wird es auch immer neue Zwischenräume geben. Diese effektiv zu nutzen, darin liegt der Schlüssel zum Erfolg des Gestaltens einer lebenswerten Zukunft. Dem Riesen auf die Schulter zu steigen, eröffnet dabei ganz neue Perspektiven und Möglichkeiten.